Wenn Präriemäuse fremdgehen
Das Gehirn des Menschen und die Ethik - eine andere Betrachtung des Ethischen.
Von Klaus-Jürgen Grün
Ethik und Gehirnchemie haben, wie Forschungen zeigen, eine ganze Menge miteinander zu tun. Benötigen wir Werte vielleicht nur deswegen, weil unser Gehirn Ausgleich von Spannungszuständen herzustellen versucht und ethische "Richtwerte" ihm helfen, unbekannte Sachverhalte schneller einzuordnen?
Die amerikanische Präriemaus führt ein bürgerliches Sexualleben. Wenn sie ihren Partner gefunden hat, bleibt sie ihm ein Leben lang treu. Aufregend wird das Sexualleben der Maus dann, wenn der Dopaminhaushalt in ihrem Gehirn gestört ist und die Dopaminproduktion stoppt. Tierexperimente haben gezeigt, dass es dann auch bei der Präriemaus vorbei ist mit der Treue. Die Tiere beginnen mit einem ausschweifenden Sexualleben, aber sie binden sich nicht mehr an einen Partner. Sex ja, Treue nein!
Interessanterweise empfinden die meisten menschlichen Leser bei der Schilderung dieser Sachverhalte aus dem Tierreich keine besondere moralische Verwerflichkeit. Die wenigsten von ihnen werden es den Mäusen als ein moralisches Vergehen ankreiden, wenn sie den Sexualpartner häufig wechseln. Tieren gegenüber sind wir Menschen noch tolerant, wenn sie eine andere oder gar keine Moral im Vergleich mit uns haben.
Damit das Verhalten der dopamingestörten Maus einen moralischen Kontext erhält, müssen wir ihre Großhirnrinde auf die Größe des menschlichen Isocortex anwachsen lassen. Hätte die Präriemaus einen dem menschlichen vergleichbaren Isocortex mit dem ausgeprägten Präfrontallappen, dann könnte sich folgendes Gespräch zwischen einem Weibchen mit gestörtem Dopaminhaushalt und deren betrogenem Gatten entwickeln. Sie kommt eines Abends in die gemeinsame Präriemauswohnung in den Erdlöchern und der Gatte wartet mit böser Miene hinterm Eingang: "Du bist schon wieder fremdgegangen", wirft er ihr vor. "Na und", antwortet sie, "was ist schon dabei; es gibt einfach zu viele schöne junge Männchen. Warum soll ich sie vorbeihuschen lassen?" "Weil es sich nicht gehört!", brüllt der Gatte zurück. "Was bedeutet das, 'weil es sich nicht gehört?'", fragt die Frau zurück. "Es bedeutet, dass wir seit Generationen im Familienverband leben", antwortet das Männchen. "Es gehört sich nicht für eine Präriemaus, dass sie ihren Partner betrügt." "Ich jedenfalls", erwidert das Weibchen, "verstehe nicht, warum sich mein Lebenswandel nicht 'gehören' soll und warum ich jemanden 'betrüge', nur weil Präriemäuse immer schon in der Monogamie lebten. Mich kümmert die Gewohnheit nicht. Ich empfinde nichts Schlechtes dabei, wenn ich andere Männchen und mich selbst glücklich mache. Schließlich haben diese auch gute Gene, und ich trage sogar zu Stärkung der kommenden Generationen bei."
Das Weibchen kann die Gefühle des Männchens nicht mehr verstehen. Und das Männchen wird der Unterhaltung vielleicht noch Folgendes hinzufügen: "Du bist unmoralisch, was sollen die Nachbarn denken ..." Dann könnte es sein, dass das Weibchen Folgendes dagegenhält: "Übrigens haben Neurowissenschaftler herausgefunden, dass ich gar nicht schuld daran bin, dass ich mich so anders als die anderen Präriemaus-Weibchen verhalte. Bei mir ist im Gehirn der Dopaminhaushalt gestört. Dies führt dazu, dass ich keine Liebe und keine Treue empfinden kann. Ich kann nichts dafür!" Nun wird es dem Männchen zu bunt. "Jetzt wirst du unfair. Ich rede hier von einem moralischen Vergehen und du ziehst die Diskussion in eine völlig andere Sphäre. Moral und Natur sind zwei gänzlich voneinander getrennte Reiche. Im Reich der Natur herrschen strikt die deterministischen Naturgesetze, während das Reich der Freiheit unsere moralisch-ethische Welt begründet."
Wir könnten den gar nicht so fiktiven Dialog fortsetzen und würden nach einer Weile das gesamte Spektrum ethisch-moralischer Argumente vorfinden.

Die Ethik des Gehirns.


So schwer es für manche zu akzeptieren ist: Unser ethisches Empfinden und Argumentieren ist mit den physiologischen Zuständen des Gehirns untrennbar verbunden. Wenn bestimmte Funktionen im Gehirn anders arbeiten, als es für die moralische Wertung erforderlich ist, haben Moral und Ethik ihre Bedeutung verloren.
Beim Menschen sind es nicht in erster Linie chemische Substanzen, die unser moralisches Bewusstsein steuern, sondern vor allem die Arbeitsweise des Präfrontalcortex. Die ernüchternden Erkenntnisse der Neurobiologen aus den vergangenen zehn Jahren zeigen, dass Ethik nicht in erster Linie der normativen oder religiösen Begründung des Guten bedarf, sondern einer einwandfreien Arbeitsweise der für moralisches Empfinden notwendigen Hirnareale. Mit diesen Auskünften der Hirnforscher und Neurobiologen sind zwei fundamentale Einsichten verbunden:

  1. Unser Gehirn benötigt eine Ethik.
  2. Unser Gehirn kann diese Ethik am besten zur handlungsleitenden Instanz werden lassen, wenn der Besitzer dieses Gehirns davon überzeugt ist, dass Ethik nicht nur eine Selbstbefriedigung des Gehirns bedeutet - obgleich genau dies der Fall sein kann. Ethik funktioniert am besten, wenn es ein höchstes Gut gibt, an das die Menschen wie an eine real existierende Sache glauben können.

Der erste Punkt erklärt die Existenz von Ethik, der zweite Punkt formuliert eine grundsätzliche Haltung zur Art und Weise, wie sie in Erscheinung tritt.
Anders als herkömmliche Begründungen von Ethik, die das Sollen oder die Pflicht zu einem unbedingten Prinzip erheben wollen, legt die moderne Neurobiologie eine unspektakuläre und nüchtern-empirische Begründung von Ethik nahe: Unser Gehirn bildet eine Präferenz für die ethisch-moralische Konstellation aus. Wo immer sich die Chance bietet, einen Sachverhalt einzubinden in einen moralischen Kontext, wird das Gehirn diese Chance ergreifen. Verschiedene Experimente belegen, dass die bevorzugte Kontextbildung für das Verstehen von Zusammenhängen die ethisch-moralische ist. Unser Gehirn kann einen Zusammenhang leichter verstehen, speichern, überschauen, wiedererkennen und mit anderen Kontexten vergleichen, wenn es den vorgestellten Zusammenhang in einen moralischen Kontext einzuordnen vermag.

Schnelleres Begreifen mit Ethik.


Eins dieser Experimente war das so genannte "Heider-Movie": Im Jahr 1944 zeigten Fritz Heider und Marianne Simmel ihren Versuchspersonen einen Zeichentrickfilm mit rein geometrischen Figuren. Die einfachen Dreiecke, Quadrate oder Kreise führten einen Bewegungsablauf vor - und es zeigte sich, dass die Versuchspersonen den Figuren allesamt einen moralisch bewerteten Charakter zuschrieben, sie setzten die Bewegungen mit Verfolgung und Rache, Bestrafung und Überlisten in Beziehung. Ein Großteil der Probanden entwickelte für eine bestimmte geometrische Figur starkes Mitgefühl und für andere so eine Art Verachtung. Das Experiment wies schon vor Jahrzehnten darauf hin, dass der Ort der Entstehung von Moral in unserem Gehirn liegt und von dort in die äußere Welt projiziert wird.
Unser Gehirn bildet sich zu einem gegebenen Sachverhalt einen moralischen Kontext, den es unter anderem aus der Gewohnheit entnimmt. Es sieht so aus, als benötigte das Gehirn eine Moral, um unbekannte Sachverhalte durch Einordnung in gewohnte Kontexte schneller zu begreifen und mit anderen vergleichen zu können. Das Gehirn, das moralische Kontexte sucht oder ausbildet, ist offenbar im Verlauf der Evolution besser imstande gewesen, überlebenswichtige soziale Strukturen zu erzeugen und einen Sicherheit garantierenden Sozialverband aufzubauen.
Was bedeutet es, einen moralischen Kontext zu haben? Es bedeutet, einen Handlungsablauf in den Schematismus von Gut und Böse und deren verschiedensten Graden von Stärke einordnen zu können. Es gibt Menschen, die wollen "das Böse" in seiner unübertrefflichen Absolutheit definieren und zum Maßstab erklären, es gibt andere, denen es um ein "absolut Gutes" als Maßstab geht, und es gibt Menschen, denen beide Formen zu radikal erscheinen, weil sie sich mit einem "Besser" und "Schlechter" zufrieden geben können.

Moral entsteht quasi automatisch.


Aus Sicht des Gehirns ist es keine Frage, ob wir Moral haben wollen oder nicht - das Gehirn macht sie sich selbst oder ergreift die nächstliegenden moralischen Kontexte, sofern die nötigen Areale im Präfrontalcortex leistungsfähig genug sind.
Die Klage, wir hätten zu wenig Moral, beruht auf einer verzerrten Wahrnehmung. Sie ist eher ein Ausdruck dafür, dass die in einem bestimmten Umfeld wahrgenommene Moral nicht mit dem eigenen Erwartungshorizont übereinstimmt. Menschen streiten weniger, weil der eine Moral hat, ein anderer jedoch nicht. Jeder hat Moral, wenn ihn nicht Funktionsstörungen in der Großhirnrinde behindern. Das menschliche Gehirn benötigt Moral, um seine Eindrücke aus der sozialen Welt zu vereinheitlichen. Moral erlaubt es uns, Phänomene der Gesellschaft in einen einheitlichen Kontext zu stellen.
Streitfragen der Moral sind zumeist Fragen der Gültigkeit unterschiedlicher Moralen. Sie entstehen, wenn konkurrierende Interessen sich zu Moralkodizes verdichtet haben, die nicht mehr kompatibel miteinander sind. Streitigkeiten über Moral können daher auch Streitigkeiten über verschiedene spezifische Vorschriften sein. Eine für alle Menschen gültige Moral haben wir bislang nicht erfunden. Es ist auch zu befürchten, dass eine solche Moral und die Systeme, die nötig wären, um ihre Einhaltung zu kontrollieren, nicht dasjenige sein werden, was sich die Menschen, welche dann darunter werden leiden müssen, zuvor gewünscht hatten.

Entspannung für das Gehirn.


Die nahe liegende Vermutung, dass die Existenz von Ethik und Moral nicht der Ausdruck des Guten in der Welt sei, sondern eine Forderung der Physiologie des menschlichen Gehirns, stellt für jeden Ethik-bewegten Menschen, für jeden, der sich für "ethisch" hält und sein Schaffen unter die Leitlinie einer Ethik gestellt hat, eine unannehmbare Provokation dar. Sein Unbehagen wird sich noch steigern, sobald er sich in den folgenden Vergleich einfühlen soll:
Wenn Sie einen Traum haben, erleben Sie nicht die einzelnen physiologischen Zustände Ihres Gehirns, während es starke Eindrücke aus dem wachen Leben "verarbeitet". Sie erleben nicht, wie Hirnströme von Neuron zu Neuron weitergeleitet werden und Spannungen entstehen. Sie erleben nur das fertige Produkt - beispielsweise das Gefühl, aus eigener Kraft wie ein Vogel über das Land zu fliegen.
Neurowissenschaftler und Psychologen aber erklären uns, dass Verdrängungen aus dem wachen Erlebnis die eigentliche Ursache für den Traum vom Fliegen sein können. Sie erleben das befreiende Gefühl des Fliegens, und nur dieses ist es, das Ihrem Gehirn die Entspannung verschafft, die sich im Traum einstellt. Die Konzentration auf die Entstehungsmechanismen der Entspannung würde Ihnen keine Entspannung verschaffen.
Weil wir über unsere Traummechanismen nicht bewusst verfügen können, kommen uns Träume unverursacht vor. So kann es einerseits geschehen, dass wir manchmal nicht mehr wissen, ob wir etwas "nur" geträumt haben oder ob es reales Geschehen war. Hier begegnen wir der gegenständlichen Kraft des Träumens am stärksten.
Der Prozess der Aufklärung und Säkularisierung hat unser Bewusstsein derart geprägt, dass wir heute einen Traum nicht ohne Weiteres als dasjenige hinnehmen, für das er sich selbst ausgibt. Wenn in den frühindustrialisierten Ländern heute eine junge Frau mit besonders heftigen religiösen Gefühlen morgens aufwacht und ihren Eltern erklärt, sie habe geträumt, der Erzengel Michael sei ihr erschienen und habe verkündet, sie werde demnächst als Jungfrau ein Kind gebären, dann mögen die Eltern vielleicht mitfühlend zuhören. Sobald dieser Traum jedoch als reale Ursache für ihre Schwangerschaft herangezogen werden soll, werden die Eltern mit Sicherheit eine andere Erklärung für plausibler halten, selbst wenn ihre Tochter versichert, kein anderer als der Erzengel Michael sei schuld an dieser Schwangerschaft. Aufklärung führt dazu, dass wir die Inhalte unseres Bewusstseins nicht ohne Weiteres als das anerkennen, wofür sie sich selbst ausgeben.
Der Stand der Aufklärung hat unser Bewusstsein derart geläutert, dass wir allen Träumen eine andere Bedeutung beimessen als diejenige, die uns der Traum selbst nahe legt. Wir verstehen Träume im übertragenen, nicht im strikten Sinn. Zum aufgeklärten Bewusstsein gehört es aber auch, Träume nicht zu verdammen, weil sie uns eine Realität vorspiegeln, die es nicht in der Weise gibt, wie der Traum sie uns anbietet oder weil er die existierende Realität verzerrt wiedergibt. Die Bedeutung des Traumes für einen gesunden Stoffwechselprozess des Gehirns ist unbestritten. Aber sie bezieht sich nicht darauf, dass wir den Gegenständen des Traumes unsere Aufmerksamkeit widmen, sondern seinen Ursachen.

Bloß nicht entzaubern.


Wir haben uns weit davon entfernt, den Traumbildern unkritisch eine Gegenständlichkeit beizumessen. Doch bei den Phänomenen des Ethischen und Moralischen ist das vollkommen anders. Hier reagieren wir in der aufgeklärten frühindustrialisierten Welt noch in derselben Weise wie ein unreifes Kind, dem die Realität seiner schönen Träume entzaubert werden soll. Wir sind auf weiter Front nicht bereit, uns auf den Gedanken einzulassen, dass es dem Ausgleich der Hirnfunktionen geschuldet sein könnte, wenn wir Handlungen und Handlungsabläufe, Geisteshaltungen, Theorien und wissenschaftliche Modelle in einen Kontext zwischen Gut und Böse einordnen wollen. Ja, streckenweise begegnen wir noch heute Vorstellungen, nach denen Gut und Böse als real existierende Substanzen aufzufassen sind. In abgeschwächter Form sollen sie zumindest autonome Kategorien der Ethik sein, die sich keinesfalls auf Natur reduzieren mögen.
Die Auskunft, dass wir auf Grund der physiologischen Beschaffenheit des Gehirns Moral benötigen und einen Raum zwischen Gut und Böse aufspannen, um die Einordnung bestimmter Sachverhalte in (soziale) Kontexte zu ermöglichen und zu erleichtern, führt zu einer Kränkung unseres Selbstbewusstseins. Das moralische Bewusstsein möchte die ethisch-moralischen Überzeugungen als Ausdruck einer an sich seienden Wertestruktur einer geistigen oder vernünftigen Welt verstehen. Wer von dem an sich seienden ethisch-moralischen Wert seiner Überzeugungen "überzeugt" ist, lässt sich kaum mehr überzeugen davon, dass er diese Werte vielleicht nur deswegen benötigt, weil sein Gehirn Ausgleich von Spannungszuständen herzustellen versucht. In gleicher Weise wie Traumerfahrungen treten Gefühle des Guten und des Bösen mit dem Anspruch in unser Bewusstsein, dass sie etwas Autonomes seien. Weil sich das Bewusstsein nicht auf die neurologischen Zustände fokussieren kann, die beim Zustandekommen moralischer Gefühle von konstitutiver Bedeutung sind, glaubt es, dass neurologische Zustände keine Bedeutung für die Existenz moralischer Gefühle haben. Und wo das Bewusstsein daran erinnert wird, dass es in seinen moralischen Gefühlen weniger einem real existierenden Guten begegnet, sondern in erster Linie seinen Hirnfunktionen, reagiert es wie der "Wahrträumende", der sich nicht vorstellen kann, den Konstrukten seines Traumes in der realen Welt wahrscheinlich niemals begegnen zu können.

Moral und Traum.


In derselben Weise, wie wir träumen müssen, benötigen wir Ethik und Moral. Bleibt der wohltuende und reinigende Prozess des Träumens aus, kann unser Gehirn Schäden erleiden. Fehlen uns die Strukturen des Guten und Bösen, verlieren wir schnell die Orientierung, die uns Einheitlichkeit in die Welt der menschlichen Handlungen bringen soll. Was der Traum für den schlafenden Menschen ist, ist die Moral für den wachen Menschen: eine notwendige Bewältigung spannungsgeladener Hirnzustände.
Und so, wie wir den Traum besser verstehen lernen, wenn wir ihn nicht als das anerkennen, wofür er sich selbst ausgibt, so verstehen wir auch Moral besser, wenn wir sie nicht für dasjenige nehmen, wofür sie sich anbietet: nämlich als Ausdruck eines real existierenden Guten. Wir verstehen den Traum besser, wenn wir die Hirnfunktionen verstehen, die ihn hervorbringen, und wir verstehen Moral besser, wenn wir wissen, warum das Gehirn den Kontext von Gut und Böse bevorzugt, um Einheitlichkeit in sein Verständnis von Handlungsmotiven zu bringen.

Die Rolle der Wirtschaft beim Entstehen von Ethik.


Daraus folgt: Es ist keine Frage mehr, ob wir Unternehmensethik haben wollen oder nicht. Wir bedienen mit Unternehmensethik auch den Aktivitätsmodus unseres Gehirns. Wenn wir diesen Sachverhalt ernst nehmen, müssen wir in einem Unternehmen den Mitarbeitern und der Öffentlichkeit ein Angebot machen, wie sie unternehmerische Arbeit und deren Produkte in einen moralischen Kontext einordnen können. Es ist kontraproduktiv, wenn Unternehmer glauben, auf Moral verzichten zu können, selbst wenn es ihnen so vorkommt, als benötigten sie selbst keine Ordnungsvorgaben aus einer Moral. Solange sie sich treiben lassen vom Rechthabenwollen, mit dem sie auch ihre Mitarbeiter zu ihrer eigenen Einsicht zwingen wollen, beschäftigen sie sich mehr mit ihren eigenen Problemen als mit unternehmerischen Notwendigkeiten. Eleganter ist es, dem Erwartungshorizont nachzugeben, der die Einordnung beobachteter sozialer Sachverhalte in einen moralisch-ethischen Kontext verlangt.
Für Unternehmer ist es allein deswegen wichtig, den Überblick über die verschiedenen ethischen Normen und ihrer Begründung nicht zu verlieren. Sie müssen verstehen, dass eine allein ökonomische Betrachtung die Gewissen der Beobachter in den meisten Fällen nicht befriedigt. Stärker als die ökonomische Betrachtung ist die moralische. Unternehmer, die es nicht verstehen, den Mitarbeitern das Gefühl zu vermitteln, dass es "gut" ist, in der Art und Weise zu produzieren, wie es auch aus ökonomischer Notwendigkeit geboten scheint, vergeuden Energie. Unternehmer spielen daher eine besondere Rolle bei der Ausbildung eines ethischen Bewusstseins. Ein Unternehmer muss wissen, dass es nicht wichtig ist, ob er an die Wirkung von Ethik glaubt; sie wirkt auch, wenn er nicht daran glaubt.

Dr. Klaus-Jürgen Grün ist Vizepräsident des Ethikverbands der Deutschen Wirtschaft e. V. Nach einer naturwissenschaftlichen Ausbildung promovierte er in Philosophie. Er ist Privatdozent für Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main, an der er auch lehrte, sowie Gründer und Leiter des Philosophischen Kollegs für Führungskräfte ( www.philkoll.de).

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