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Ich maile, also arbeite ich

E-Mails werden zum Stressfaktor im Büro.

Von Winfried Kretschmer

E-Mail wird zum Stressfaktor in der Arbeit. Die E-Mail-Flut wächst. Zwei von drei E-Mails sind mittlerweile überflüssig. Mehr und mehr elektronische Nachrichten müssen von überforderten Mitarbeitern abgearbeitet werden. Was fehlt, ist ein verantwortlicher Umgang mit dem Kommunikationsinstrument. Die Lux Kultur Agentur gibt Tipps.

"Rapidité, rapidité" ruft der Dorfbriefträger François in Jacques Tatis Film Das Schützenfest. Sein großes Ziel: Nach amerikanischem Vorbild will er im französischen Provinznest Sainte-Sévère ein neues Zeitalter der Briefzustellung beginnen: Schneller soll es gehen, viel schneller. Voller Staunen hat er im Kinozelt auf dem Dorfplatz einen Wochenschaubericht über die amerikanische Post gesehen, die mit Flugzeug, Schnellzug und rasanten Autos zu neuen Zustellrekorden eilt. Aber so redlich er sich müht, seinem Vorbild nachzueifern, er scheitert an der Tücke des Objekts, etwa wenn er ungewollt mit seinem Drahtesel im Dorfbistro landet oder beim Aufsteigen nicht im Sattel, sondern auf dem Holzzaun daneben zu sitzen kommt. Tatis Briefträger, der allen helfen möchte, aber doch nur Unheil stiftet, ist eine Figur aus einer vergangenen Epoche. Sein Schlachtruf "rapidité" indes ist zu einer Metapher für unsere modernen Zeiten geworden. Was zählt, ist Schnelligkeit, Schnelligkeit, Schnelligkeit. Und kein Kommunikationsmedium zuvor erfüllte diese Grundbedingung so wie die E-Mail. Im Sekundentakt jagt sie durch die Datennetze dieser Welt - gebremst nur von der Unfähigkeit des Menschen, mit diesem Tempo Schritt zu halten.

Meilenstein in der Entwicklung der Kommunikation.


Wie einfach ist es doch geworden, zu kommunizieren! Heute genügt ein Mausklick, wo früher Stunden und Tage draufgingen, um mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Erinnern wir uns: Noch vor wenigen hundert Jahren musste, wer anderen Menschen etwas mitteilen wollte, sich selbst auf den Weg machen oder einen Boten senden. Die Erfindung der Post war ein Meilenstein in der Entwicklung der Kommunikation - mit weit reichenden Auswirkungen auf die Entwicklung des Handels. Dennoch vergingen Tage, im internationalen Geschäftsverkehr teilweise sogar Wochen, bis die Botschaft den Adressaten erreichte. Erst die Erfindung des Telegraphen, des Telefons und des Fernschreibers, schließlich des Faxgeräts, erlaubten die Kommunikation in Echtzeit. Doch blieben die Botschaften weitgehend individualisiert. Ein Brief, ein Fax, ein Telefonanruf oder ein Telegramm sind Original-Botschaften eines individuellen Senders an einen individuellen Empfänger. Daran änderten auch Massendrucksachen und die Rundsende-Funktion am Faxgerät nichts grundlegend. Bis die E-Mail erfunden wurde.

Erfinder des Klammeraffen.


Es war vor 30 Jahren, im Jahr 1971, als der Programmierer Ray Tomlinson auf die Idee kam, zwei verschiedene Protokolle für die Datenübertragung miteinander zu kombinieren. Tomlinson arbeitete an der Entwicklung des ARPANET, einer frühen Form des Internets. Das Datennetz für den Versand von Botschaften zu nutzen war dabei gar nicht vorgesehen, sondern entsprang der Experimentierlaune des Programmierers, der nebenbei auch das spätere Symbol der Internet-Gemeinde erfand, den Klammeraffen. Von Tomlinson stammt der Vorschlag, Empfängername und Host-Computer durch das Zeichen "@" voneinander zu trennen. Der Mann hat mit Sicherheit nicht geahnt, was er da lostrat. Damals konnte niemand vorhersehen, dass sich aus dem Spielzeug einiger hoch spezialisierter Programmierer und Wissenschaftler eine Kommunikationsrevolution entwickeln und die E-Mail zum Kommunikationsmedium Nummer eins avancieren würde. Heute hat sich die elektronische Post durchgesetzt. Kein Wunder, denn die E-Mail ist nicht nur unglaublich schnell, sondern auch universell einsetzbar. Eine Mail kann weitergeleitet, verändert, kopiert, kommentiert und zudem noch mit beliebigen Dateianhängen versehen an beliebig viele Adressaten versandt werden, deren Anschrift zudem aus einer meist leicht zu merkenden und sich intuitiv erschließenden, kurzen Zeichenfolge besteht.

E-Mail wird zum Stressfaktor.


Die Universalität der E-Mail erklärt ihren Erfolg. Schätzungsweise 31 Milliarden Mails landen Tag für Tag in den elektronischen Postkästen der weltweit 500 Millionen Menschen, die über einen Internetzugang verfügen. Kein Kommunikationsmittel hat sich so schnell eingebürgert wie das Internet und seine wichtigste Nutzungsform, die E-Mail. Doch hat der Erfolg seine Kehrseite: Jede dritte Mail ist überflüssig, schätzen Experten. Und die steigende Zahl der elektronischen Nachrichten wird zur Belastung. Zwischen 50 und 100 E-Mails erhalten Mitarbeiter in deutschen Unternehmen Tag für Tag, manche Schätzungen sprechen sogar von mehr als 170 Nachrichten, die jeden Mitarbeiter per Fax, E-Mail oder Voice-Mail erreichen. Kein Wunder, dass darunter die Effizienz der Arbeit leidet. Zu viel Zeit geht für das Lesen und Schreiben von E-Mails drauf; das genial einfache Kommunikationsinstrument wird zum Stressfaktor.

Zerhackter Arbeitstag.


Die E-Mail ist so schnell wie ein Telefonanruf, ermöglicht es aber, zeitversetzt zu kommunizieren, und erlaubt es, die elektronische Post arbeitsökonomisch sinnvoll am Stück zu erledigen. Theoretisch. Die Praxis jedoch sieht anders aus. Sobald das aufpoppende Fenster auf dem Computermonitor oder das sphärische Tonsignal des Mailprogramms den Eingang einer neuen Meldung signalisiert, lassen die meisten Computernutzer alles liegen und stehen, um sich der Neuigkeit zu widmen. Eine Mail ist ein Ereignis wie das Eintreffen des Postboten - nur dass dieser einmal am Tag kommt, E-Mails hingegen im 15-Minuten-Takt (oder wie auch immer Mailserver oder Mailprogramm eingestellt sind). So geht es Millionen von Menschen, die auf den Computer als Arbeitsmittel angewiesen sind: Eine Flut von E-Mails zerhackt den Arbeitstag in einzelne Arbeitshäppchen, deren Anfangs- und Endpunkt definiert sind durch das eingestellte Intervall des Mailprogramms. Jede Mail könnte wichtig sein, könnte sofortiges Reagieren erfordern - dumm nur, wenn es sich wieder nur um einen Newsletter, um eine cc-Mail, eine belanglose Anfrage oder gar um eine jener Werbemails handelt, die zunehmend häufig in die Posteingänge flattern.

Gedankenloser Umgang mit dem Medium.


Das ist in der Lux Kultur Agentur nicht anders, und auch nicht in den Unternehmen, die die Agentur betreut. Gerhard Lux kritisiert den gedankenlosen Umgang mit dem Medium. Man solle sich gut überlegen: "Was versende ich? Was ist die Botschaft? Ist das wirklich eine notwendige und wichtige Information?" Viele Mails, so seine Erfahrung, dienten nur dazu, Verantwortung weiterzudelegieren. "E-Mail ist ein wunderbares Instrument, sich von Dingen freizusprechen", kritisiert Lux. Motto: cc an alle - und alle haben's gewusst. Praktischer Nebeneffekt: Die Zahl der versandten E-Mails dient als simpler Arbeitsnachweis. Ich maile, also arbeite ich.
Auch der permanente Anspruch an Geschwindigkeit ist Lux ein Dorn im Auge. "Man muss auch die Zeit haben, Dinge zu überlegen", gibt er zu bedenken. "Geschwindigkeit allein ist kein Qualitätskriterium." Dennoch könne der verantwortungsbewusste Umgang mit dem Instrument E-Mail den Unternehmen sehr viel Zeit sparen. Deshalb hat die Lux Kultur Agentur die wichtigsten Empfehlungen für den Umgang mit dem Medium E-Mail zusammengestellt:

Empfehlungen für die E-Mail-Kommunikation.


  • Nicht alle Informationen eignen sich für die E-Mail-Kommunikation. Wichtige und vertrauliche Informationen sind in einem Brief besser aufgehoben, komplexe Zusammenhänge lassen sich dort besser darstellen.
  • Überlegen: Was ist die Botschaft? Vermittelt die Mail wirklich eine wichtige Information oder dient sie nur dazu, Verantwortung zu delegieren? In diesen Fällen gilt dann: Mut zur Verantwortung zeigen!
  • Auf Sprache und Form achten! Eine sprachlich und formal korrekte Mail zeugt vom Respekt gegenüber dem Empfänger. Internet-typische Formen der E-Mail-Kommunikation - etwa die Verwendung von Emoticons oder die Beantwortung und Kommentierung direkt im Text des Absenders - nur verwenden, wenn der Adressat sie sicher versteht und damit umgehen kann.
  • Die Adressaten gezielt auswählen! Die Möglichkeit, E-Mails an beliebig viele Personen zu versenden, verleitet dazu, den Adressatenkreis weiter zu fassen als notwendig. "An/To" bedeutet, dass der Angeschriebene etwas tun soll oder muss. "cc" - die Abkürzung steht für "carbon copy" - bedeutet, dass der Adressat nichts tun muss, aber Bescheid wissen sollte. Adressaten, die nichts miteinander zu tun haben, nur "bcc" ("blind carbon copy") anschreiben. Die Adressierung "An/To" und "cc" machen jedem Empfänger den kompletten Verteiler zugänglich. Und nicht jeder schätzt es, wenn seine E-Mail-Adresse herumgereicht wird. Wer eine bcc-Mail erhält, sieht hingegen nur seine Adresse und die des Absenders.
  • Pause vor dem Abschicken. Vor dem Versenden wichtiger Mails eine Fünf-Minuten-Pause einlegen. Das gibt die Möglichkeit, einen zweiten Blick auf Form und Inhalt zu werfen.
  • Feste Lesezeiten einrichten und die eingegangenen Mails in einem Arbeitsgang beantworten. Welchen Turnus man für die Abholung der Nachrichten wählt, hängt von der Zahl der E-Mails ab, die man erhält. Und natürlich von dem Arbeitstempo, das man vorlegt oder dem man unterworfen ist.
  • Ob man seine Mails automatisch je nach Absender in Eingangsordner sortieren lassen sollte, ist umstritten. Die amerikanische Autorin und selbst ernannte "E-Mail-Anthropologin" Kaitlin Duck Sherwood warnt vor komplexen Ordnerstrukturen. Denn darin würden Mails begraben. Sie rät zu lediglich zwei Ordnern: "Posteingang" und "Erledigt". Darin ließen sich Mails mit der Suchfunktion des Mailprogramms leicht wieder auffinden. Vorausgesetzt, sie wurden nicht gelöscht.

Letzteres indes ist das Geheimrezept von Gerhard Lux im Kampf gegen die E-Mail-Flut. Entgegen der Empfehlung, grundsätzlich jede Mail zu beantworten, hat er sich angewöhnt, auf unwichtige Sachen grundsätzlich nicht mehr zu antworten: "Solche Mails lösche ich." Rigoros, aber effektiv.

Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.

www.lux-kultur.de

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Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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