Das ganze Leben gestalten
Patchwork-Karrieren - wie changeX-Leser leben und arbeiten.
Von Sascha Hellmann
Geradlinige Lebensläufe, das war einmal. In der individualisierten Gesellschaft von heute kann sich jeder den passenden Lebensentwurf selbst aussuchen. Brüche, Überraschungen und Durststrecken eingeschlossen. Das Leben ist ein Patchwork unterschiedlicher Phasen, riskant und abwechslungsreich. In den nächsten Monaten porträtieren wir ausgewählte changeX-Leser. Spannende Menschen mit schillernd unterschiedlichen Lebens- und Arbeitswelten. In einer Serie von journalistischen Kurzporträts. Neue Folge 10: Constanze und Norbert Illig in Worms. / 13.03.08
Constanze und Norbert Illig
Constanze und Norbert Illig:
"Arbeit sollte dem Einzelnen ermöglichen, sich und seine Umwelt zu gestalten und seine Einflussmöglichkeiten zu verwirklichen."
Constanze und Norbert Illig wohnen mit ihren drei Kindern in Worms. Constanze Illig ist 45 Jahre alt, stammt aus einer klassischen Künstlerfamilie und hat nach dem Abitur Architektur studiert. Während des Studiums lernt sie ihren Mann Norbert Illig kennen, der jetzt 50 Jahre alt ist. Er ist in Worms geboren und beginnt nach Abitur und Zivildienst zunächst Jura zu studieren, wechselt dann jedoch zur Architektur. Beide absolvieren nach dem Architekturstudium noch ein Aufbaustudium an der Kunsthochschule Düsseldorf. Norbert Illig arbeitet eine Zeit lang als Architekt und gründet zusammen mit einem ehemaligen Professor ein Architekturbüro in Eisenach. Zwei Kinder werden geboren und alles läuft auf eine klassische Mittelstandsexistenz hinaus. Beide kommen aber an einen Punkt, "an dem es nicht mehr ausbalanciert war", sagt Constanze Illig. "Die vielen Dinge, die wir noch machen wollten, mussten wir irgendwie unterbringen." Sie entschließen sich, ein Jahr mit einer überkonfessionellen Missionsgesellschaft nach Amerika zu gehen, um sich neu zu orientieren. Sie nehmen an zahlreichen Schulungen teil, arbeiten als Architekten, im Rahmen der Missionsgesellschaft auch für ein paar Monate in der Ukraine. Als sie nach Deutschland zurückkehren, bekommen sie ihr drittes Kind.

Gestaltung des gesamten Lebens.


Doch Deutschland erleben sie bei ihrer Rückkehr gänzlich anders, viel verkrampfter als Amerika. "Deutschland kam uns vor wie ein Land nach einem inneren Tankerunglück, von einer Ölpest überschwemmt. Nur vereinzelt kamen ein paar zarte Pflänzchen nach oben und wehrten sich gegen diesen Ölteppich", erinnert sich Norbert Illig. Der Neuanfang in Deutschland ist zunächst mühsam. Doch in Amerika haben sie das Internet kennengelernt, was Worms als Wohnort der Familie möglich macht. Die Kinder wachsen mit ihren Großeltern auf, über das Internet baut das Paar Aktivitäten auf, die über die Grenzen von Worms hinausgehen. Zunächst sind es kleine Architekturprojekte, Kultur- und Kunstprodukte. Die Internet-Projekte kuproG.net und Arbeitsagenten.de entstehen. Das "Mutterschiff" kuproG ist "eine Mischung aus Ideenagentur, Kulturveranstaltung, Kunstvermittlung und Kunstproduktion". Das Projekt Arbeitsagenten ist in künstlerischer, kultureller Hinsicht dem Thema Arbeit gewidmet: um den Arbeitsbegriff auszuweiten und von der Enge der Erwerbsarbeit zu befreien. Beide Projekte sind inhaltlich über den vom Paar Illig eingeführten Begriff "Begriffsbilder" verbunden. Constanze Illig erklärt: "Wir untersuchen Begriffe, beleuchten sie mit künstlerischen Methoden, um dann Begriffsbilder zu schaffen, die in den Köpfen der Betrachter weiterwirken können." Dabei geht es beiden um einen erweiterten Gestaltungsbegriff. "Es geht um das Gestaltungspotenzial jedes Einzelnen, um die Gestaltung des gesamten Lebens", so Norbert Illig. Konkret realisieren sie ihre eigenen künstlerischen Projekte oft im öffentlichen Raum. Über diese Projekte entstehen auch Architektur-, Kunst- und diverse Projektaufträge von öffentlichen und privaten Auftraggebern. Bildung ist ein weiterer Bereich. Sie arbeiten mit Jugendlichen zusammen und verfolgen auch hier wie bei Managementtrainings ihren emanzipatorischen Ansatz: Man kann etwas entscheiden, gestalten und dadurch Einfluss nehmen. "Die eigenen Möglichkeiten gehen immer weit über das hinaus, was von der Gesellschaft suggeriert wird", sagt Constanze Illig. "Wir versuchen, den Menschen ihre Möglichkeiten aufzuzeigen."

Arbeit als Entwicklungsmöglichkeit.


Constanze und Norbert IlligFür das Künstlerpaar Illig zerfällt der Tagesablauf nicht in die klassische Trennung Arbeitsleben versus Privatleben. Sie wohnen in der Innenstadt von Worms, "keine drei Minuten entfernt" liegt ihr Atelier, das auch als Büro und Ausstellungsraum genutzt wird. Sie betreuen ihre Kinder selbst und verwenden den Projektbegriff sehr offen: "Mal heißt das Projekt 'die Wohnung aufräumen', mal 'eine Ausstellung organisieren'", sagte Constanze Illig. Die Verteilung der Aufgaben findet in gegenseitiger Absprache und nach den gegenwärtigen Erfordernissen statt. Innerhalb der Woche gibt es jedoch "kreative Inseln": Diese Zeit gehört der Konzeption künstlerischer Projekte, mit denen sie zu Veränderungen anstiften wollen.
Das Thema Arbeit beschäftigt das Paar und reflektiert es speziell in ihrem Projekt Arbeitsagenten. Norbert Illig meint, dass die Gesellschaft beim Thema Arbeit vor einer großen Umwälzung stehe, jedoch den "Zwang zum Wechsel" noch leugne. Dabei sieht er gerade im Wandel eine große Chance. Auf die Frage, was Arbeit sein sollte, antwortet Norbert Illig: "Arbeit sollte dem Einzelnen ermöglichen, sich und seine Umwelt zu gestalten und Einflussmöglichkeiten zu verwirklichen." Die tatsächliche Arbeit der Illigs ist davon nicht weit entfernt: "Wir kommen dem manchmal ziemlich nahe, obwohl man manchmal auch an seine Grenzen stößt."
Auf changeX ist das Paar vor einigen Jahren gestoßen. Zunächst habe sie allein der Name begeistert: "Dass sich überhaupt jemand mit dem Wandel beschäftigt, war bemerkenswert", sagt Norbert Illig. Sie nutzen changeX "als eine Art Anstiftung". Die vielfältigen Beiträge sind wichtige Anregungen für ihr eigenes Leben.
Constanze und Norbert Illig sind ihren vielfältigen Interessen in Studium und beruflicher Tätigkeit nachgegangen, haben Bestehendes genutzt, ausgebaut und Neues aufgebaut. Ihr Leben und ihre Arbeit haben sie gestaltend in die eigenen Hände genommen und möchten andere ermutigen, alle Möglichkeiten zu nutzen.

Sascha Hellmann ist freier Mitarbeiter bei changeX.

Kontakt:
Constanze Illig
Norbert Illig
Begriffsbilder
Zeughausgasse 2
67547 Worms
Telefon: 06241-954944
Fax: 06241-954945
E-Mail:
info@eye-D-ear.com
Internet:
www.kuproG.net
www.arbeitsagenten.de

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Sascha Hellmann
Hellmann

Sascha Hellmann ist freier Journalist in Heidelberg. Er arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.

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